AdHS bedeutet nicht nur „Zappelphilipp“

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„Nun sitz doch einfach mal still“

Nun, als Begriff bedeutet AdHS zunächst mal „Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitäts-Syndrom“. Und da steckt tatsächlich ja die Hyperaktivität drin. Darum ist es kein Wunder, dass den meisten beim Begriff AdHS zunächst ein Kind einfällt, das immer in Bewegung ist, und dabei dann teilweise auch ein Chaos anrichtet, egal, wie oft man es ermahnt. Ein Kind eben wie der „Zappelphilipp“ in der bekannten Geschichte aus dem „Struwwelpeter“. Aber die Hyperaktivität ist ja nur ein Aspekt, der schon gar nicht auf alle mit AdHS zutrifft.

Zeichnung eines umgefallenes Glas, aus dem eine orangene Flüssigkeit (Multivitaminsaft) herausläuft.
„Du könntest so viel, wenn du nur wolltest“

Auch die Formulierung des „Aufmerksamkeitsdefizit“ ist nicht ganz treffend. Es bezieht sich auf die Beobachtung, dass Kinder und Erwachsene mit AdHS für Aufgaben oft nicht genügend Konzentration, also Aufmerksamkeit, aufbringen können. Es hat nichts damit zu tun, dass Eltern ihren Kindern womöglich zu wenig Aufmerksamkeit zuwenden würden, wie manche Menschen fälschlicherweise glauben.

AdHS bedeutet nun also tatsächlich, dass für manche Aufgaben die Konzentration fehlt. Manchmal fühlt es sich an, als würde bei einer Aufgabe der Anschaltknopf fehlen – wie es „Pina the ADHD Alien“ so treffend in einem Comic darstellte. Manchmal schafft man es, mit der Aufgabe zu starten, aber nach ein paar Minuten beginnt ein Kribbeln im Kopf, wie ein Juckreiz, dass man unbedingt etwas anderes tun muss.

Für manche Aufgaben ist jedoch Konzentration da, vielleicht sogar mehr als genug. Interessante Aufgaben, oder Aufgaben, die „auf den letzten Drücker“ doch noch fertig werden müssen. In solche Aufgaben kann man sich oft wirklich hinein vertiefen und dabei überraschend gute Leistungen erbringen.

Für Außenstehende wirkt es dann so wie eine Frage des Wollens. Das Kind bringt in dem einen Fach gute Leistungen und versagt in einem anderen Fach? Dann ist schnell das Urteil gefällt: Es könnte auch in dem anderen Fach gut sein – wenn es nur wollte. Es muss sich eben nur mehr anstrengen. Nicht so faul sein.

Und weder Lehrern noch Eltern ist meist klar, dass das Kind sich nicht aussucht, das eine Mal Leistung zu zeigen, und das andere Mal nicht. Dass das Kind vielleicht etwas tatsächlich verzweifelt machen will – aber der Einschaltknopf fehlt.

„Was kannst du eigentlich?“

Es ist frustrierend, wenn man sich so bemüht hat stillzusitzen, und dann stößt man doch wieder etwas um.

Es ist frustrierend, wenn man sich so bemüht, konzentriert zuzuhören, und dann hat man wieder die Hälfte nicht mitbekommen.

Es ist frustrierend, wenn man ein guter Freund sein möchte, und ist schon wieder zu spät zur Verabredung gekommen.

Es ist frustrierend, wenn man tolle Pläne hat, die man verwirklichen möchte, und kurz vor der Vollendung geht einem die Puste aus.

Es ist frustrierend, immer wieder an Dingen zu scheitern, die anderen leicht fallen. Die für andere selbstverständlich sind. Die andere ganz selbstverständlich auch von einem erwarten. Dieses fortwährende Scheitern trotz wirklichem Bemühen, dieses Gefühl, dass es ganz und gar außerhalb der eigenen Kontrolle liegt, ob es klappt oder nicht, kann das Selbstbewusstsein nachhaltig untergraben.

„Was kannst du eigentlich, wenn du nicht einmal das kannst?“ fragen dann manchmal andere. Und fragt sich irgendwann das Kind selbst.

Und verliert dabei aus dem Blick, was es kann, wenn die Umstände richtig sind. Wenn das Interesse da ist oder der Zauber des Neuen. Wenn es ein Team gibt, in dem der eine machen kann, was dem anderen schwerfällt, und umgekehrt.

„Willst du das Kind etwa ruhigstellen?“

Dass unbequeme Kinder mit AdHS-Medikamenten „ruhiggestellt“ würden, hört und liest man immer wieder.

Es stimmt nur nicht.

Die zwei gebräuchlichsten Wirkstoffe bei AdHS-Medikation sind Stimulanzien. Sie sind genauso wenig zum Ruhigstellen geeignet wie beispielsweise Koffein, das ebenfalls bei den Stimulanzien eingeordnet wird (siehe Wikipedia-Artikel: Stimulans).

Diese Wirkstoffe wirken auf den Dopamin-Haushalt, der wiederum auf das Belohnungszentrum im Gehirn einwirkt. Und das wiederum beseitigt einige der typischen AdHS-Schwierigkeiten.

Im Vergleich zu vorher wirken viele Kinder dann tatsächlich ruhiger. Aber das liegt dann daran, dass

  • das hyperaktive Kind nun endlich sitzenbleiben kann, wenn es sitzenbleiben will, oder
  • es endlich ein Projekt bis zu Ende bearbeiten kann, anstatt es mittendrin zu unterbrechen.
  • das impulsive Kind vor einem Wutausbruch noch einmal überlegen kann, ob es nicht bessere Lösungen gibt.

AdHS-Medikamente sind keine Wundermittel. Sie lösen nicht automatisch alle Probleme. Sie wirken jeden Tag nur eine bestimmte Zeit, und danach können die Symptome im Rebound kurze Zeit sogar stärker sein. Manche Kinder haben Nebenwirkungen davon. Und bei manchen wirken sie gar nicht.Da, wo sie aber wirken, sind sie eine große Erleichterung und sollten keinem AdHSler aus unbegründeten Ängsten vorenthalten werden.